Dr. U. Borgwardt (unter Mitarbeit von Manuela Hühne)
Russisch liegt mit 258 Millionen Sprechenden unter den Weltsprachen auf Platz 8. Es wird außer in Russland in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion verstanden und gesprochen. 1
Russisch als Unterrichtsfach in der Schule behauptete im Osten Deutschlands seit 1946 mehr als 40 Jahre als einzige obligatorische Fremdsprache für alle Schüler*innen ab der 5. Klasse seine Monopolstellung. Schüler*innen mit guten Lernergebnissen konnten schon ab Klasse 3 am Erweiterten Russischunterricht teilnehmen. An vielen Schulen fanden für die besten Schüler*innen im Fach Russisch Olympiaden statt. Bei Festen der russischen Sprache zeigten Schüler*innengruppen russischsprachige Sketche und russische Volkstänze, führten Szenen aus dem Russischunterricht vor und sangen russische Lieder.
Unterstufenlehrer*innen am Institut für Lehrerbildung in Putbus auf Rügen hatten die Möglichkeit, in einem Zusatzjahr die Lehrbefähigung für Russisch bis zur achten Kasse zu erwerben. Sie konnten sich nach erfolgreicher Tätigkeit als Russischlehrer*in in einem fünfjährigen Fernstudium am Pädagogischen Institut zum Diplomlehrer für Russisch weiterqualifizieren. Abiturientinnen und Abiturienten mit dem Berufsziel Russischlehrer*in für die Klassen 5 bis 12 wurden in einem Direktstudium an den Universitäten Greifswald und Rostock ausgebildet. Viele von ihnen absolvierten ein einjähriges Teilstudium in der Sowjetunion. Russischlehrer*innen mit mehrjähriger Erfahrung konnten ihr sprachpraktisches Können in Sommerkursen mit sowjetischen Gastlehrkräften auffrischen.
1991 wählten viele Schüler*innen Russisch ab und lernten dafür Englisch, Französisch oder Spanisch, wenn diese Sprachen an der Schule angeboten wurden. Englisch hatte im wiedervereinigten Deutschland mit mehr als 146.000 Lernenden Russisch mit 96.698 überflügelt. Das Unterrichtsfach Russisch fiel 1995 auf Platz 3 hinter Englisch und Französisch zurück. 2 Der einstige Champion unter den Fremdsprachen in der DDR musste in der Pluralität des schulischen Sprachenangebots seinen Platz erst finden. Den 3. Platz behauptete der Russischunterricht in Deutschland viele Jahre. 2 Heute ist Russisch eine von 12 Schulfremdsprachen. Die meisten Schüler*innen für Russisch entfallen auf die Sekundarstufen I und II. Die politische Motivation wurde seit der Wiedervereinigung auch in M-V durch eine praktische ersetzt. Russisch war in der DDR den anderen Schulfremdsprachen vorgezogen worden. Es durfte dort nicht abgewählt werden. Gegenwärtig muss sich Russisch im Wettbewerb den anderen Schulfremdsprachen und weiteren Fächern stellen und um die Gunst der Lernenden kämpfen. Die Entscheidung für Russisch ist kein Selbstläufer mehr. Das Engagement der Russischlehrer*innen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Nur derjenige Russischunterricht hat eine Perspektive, der begeistert, für sich selbst wirbt, über die Grenzen der Schule hinaus Interesse weckt und schließlich Schüler*innen, Eltern und Schulleitungen überzeugt, dass Russisch eine attraktive und reizvolle Alternative zu den anderen Fremdsprachen und Fächern an der Schule ist. Dazu bedarf es hoch motivierter und qualifizierter Lehrkräfte, die ein realistisches Russlandbild ohne Diffamierungen und Tabus vermitteln, ihre Schüler*innen durch effiziente Lernstrategien und den Umgang mit kultureller Differenz zu anwendungsbereiten und ausbaufähigen Grundlagen der kommunikativen Sprachbeherrschung befähigen. Wer von ihnen an seiner Schule keinen modernen, lebensnahen und freudvollen Russischunterricht erteilt, keine Feste und Wettbewerbe für Russischlernende möglichst mit russischsprachigen Gästen organisiert oder Teilnehmer*innen für den Bundeswettbewerb Fremdsprachen motiviert, keinen deutsch-russischsprachigen Schüler*innenaustausch pflegt oder international anerkannte Zertifikate wie Тесты по русскому языку как иностранному oder The European Language Certificates in den Unterricht integriert, wer sich daneben nicht sprachlich und methodisch kontinuierlich fortbildet, muss sich fragen, ob er tatsächlich alles Notwendige tut, um zu sichern, dass Russisch an der eigenen Schule auch zukünftig noch eine Perspektive hat.
Die meisten Russischlernenden in M-V sind an den Gymnasien und Gesamtschulen zu finden. Dort wird das Fach als 2. Fremdsprache in den Jahrgangsstufen 7-10 und als spät beginnende 2. oder 3. Fremdsprache ab Jahrgangsstufe 10 bis zum Abitur unterrichtet. Neueren Angaben zufolge bieten 32 von 49 Gymnasien in M-V Russisch als 2. Fremdsprache, 32 Gymnasien als 3. Fremdsprache und vier Gymnasien als 1. und als 4. Fremdsprache an. Überhaupt kein Russisch mehr haben die Schüler*innen an ca. 17 Gymnasien in neun Orten, darunter in Bad Doberan, Greifswald, Stralsund, Pasewalk, Löcknitz und Waren. 3 Gründe für diesen Trend können u.a. sein, dass es an diesen Schulen keine jahrgangsübergreifenden Kurse gibt, die Mindestzahl nicht erreicht wird, nicht noch einmal für den Russischunterricht nachgeworben wird oder Lehrkräfte für Russisch fehlen. Viele Russischlehrer*innen haben sich inzwischen neu orientiert und sich für andere Fächer ausbilden lassen. Das Institut für Slawistik der Universität Rostock wurde ungeachtet der Proteste, auch des FMF M-V 2007 geschlossen. Die Ausbildung von Lehrer*innen für Russisch an Haupt- und Realschulen und an Gymnasien in M-V erfolgt seitdem nur noch an der Universität Greifswald.
Den FMF M-V haben Russischlehrkräfte 1991 mitgegründet und sind seitdem im Landesvorstand aktiv. Fachreferentinnen und Referenten standen mit ihren Erfahrungen den Russischlehrkräften von Anfang an zur Seite. Bei den regelmäßig stattfindenden Fremdsprachentagen werden vielfältige Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte, Referendar*innen und Studierende im Fach Russisch angeboten, angefangen von Vorträgen zum Russischunterricht über Workshops bis hin zu Podiumsdiskussionen. Die Homepage des FMF M-V vermittelt Wissenswertes für den Russischunterricht.
Seit dem Einmarsch russischer Streitkräfte in die Ukraine hat die Fluktuation von Russischlehrkräften und Russischlernenden noch einmal zugenommen. Die Fachreferentin Manuela Hühne hat bereits vor drei Jahren für M-V einen Arbeitskreis Russisch ins Leben gerufen, der sich viermal im Jahr bisher online trifft, um sich über aktuelle Fragen aus der Unterrichtspraxis auszutauschen und die Kräfte der Russischlehrer*innen in dem Bestreben zu bündeln, dieser Entwicklung entgegenzuwirken und sie umzukehren. Neue interessierte Mitglieder sind willkommen.
1 Wikipedia
2 Statistisches Bundesamt Deutschland
3 Statistisches Amt M-V